Samstag, 28. November 2015

Last Of A Dying Breed. Tourblog 2015. Episode 6

Supersense, Città Vecchia und Freitag der 13.11. 


Irgendwo im Netz bin ich vor dem Tourstart drüber gestolpert. Irgend so ein Blog, was weiß ich. Das oder die Supersense. Café, Laden für Vintage Kameras, Druck mit Bleisatz, Holzschnitt, so Zeug, analog Equipment und scheinbar auch analoges Tonstudio. So richtig vorstellen konnte ich mir's da allerdings nicht. Letztendlich richtig neugierig gemacht hat mich die Aufzugskabine. Eine Jugendstil Aufzugskabine in der man für einen kleinen Obolus eine Mono-Aufnahme von 90 Sekunden machen kann, die direkt in Vinyl geschnitten wird. Oder war's Azetat? Oder ist das das gleiche? Egal. Aufregend hört sich das allemal an. Genau der richtige Boxenstopp auf dem Weg zum Graz Auftritt. Ich bin völlig begeistert. Vorsichtig ausgedrückt. Nicht nur das man im Café im Eingangsbereich erstmal eine Melange oder einen großen Braunen nehmen kann, nein, es gibt auch noch obskurste Vintage-Gitarren zum Verkauf. So obskur das ich eigentlich mit anschauen völlig bedient bin.
Aber dann diese Aufzugskabine! Der Knaller! Ich nehme vier 7" auf. Zwei Versionen von "Lonesome Town" mit Omnichord, zwei von "Sergeant Small" mit dem Irish Bouzouki und bin jedes mal verblüfft wie lang 30 Sekunden doch sein können. Muss wieder hier her.





Der Dienstagabend Auftritt in der Kulturhure in Graz erweist sich als ein sehr familiärer. Wenig Leute, was aber bei der Größe völlig ok ist. Der Laden heißt übrigens wirklich so. Also eigentlich vollständig CuntRa La Kunsthure. Nettes Ding. Nette Leute. Sehr charmant.
Es folgt nach dem obligatorischen Kürbiskernöl-Einkauf am kommenden Tag eine überaus tunnelreiche Fahrt nach Trieste wo ich bei dem Schauspieler-Pärchen Eva und Lorenzo und deren Mitbewohner Simone aka. The Leading Guy (toller Singer/Songwriter Stoff) unterkomme.

Ferrara, sagt Dominik, ist die Stadt mit den glücklichsten Menschen in Italien. Statistisch gesehen. Das wird sich heute zeigen müssen. Zunächst mal ist es eine ausgesprochen hübsche Stadt mit einer hervorragend erhaltenen Mauer drumherum, wobei ersteres sich von Trieste auch sagen lässt. Das mit den glücklichsten Menschen kriegt auch relativ schnell einen unschönen Kratzer ab. Zumindest kann ich mir nicht vorstellen das Federico Aldrovandi, ein junger Stammkunde im Centro Sociale, so besonders glücklich darüber war als er hier in Polizeigewahrsam auf nach wie vor ungeklärte Art verstorben ist. Man sagt es wird intern ermittelt. Bislang ergebnislos. Ich verordne dem Polizeicorps von Ferrara in Gedanken einmal täglich "One Shoe" vom Klezmer Mongrels Album von Geoff Berner zum Morgenappell. Das das Centro Sociale ausgerechnet in der Viale della Resistenza liegt, passt wie Arsch auf Eimer. Gute Leute hier. Und: es ist mein erster Auftritt in Italien. Wird mir sicher unvergesslich bleiben. Der Abend ist sehr gut besucht. Der Sound toll. Das Set läuft perfekt, das Publikum begeistert. All das eigentlich zu schön um wahr zu sein. Irgendwer schneidet mit. Fast will ich mir das nicht anhören um den Eindruck des Abends nicht zu entzaubern....

Off-Day. Vormittag eines sonnigen Novembertages im Piemont, südlich von Turin. Bin bei Freunden untergekommen, irgendwo weit weg von stadtähnlichen Ansiedlungen. Das Anwesen, erbaut in den 60er/70er Jahren könnte eine Filmkulisse sein. Antonioni vielleicht. Geschlafen wie ein Stein nach einer tatsächlich großartigen Fahrt hierher. Tolle Strecke. Pisa - Genova - Torino. Allein wegen der Landschaft haben sich die Autobahngebühren gelohnt. Bei Ankunft dann Abendessen bei Daniela und Gigi's Familie. Jetzt weiß ich auch das es nichts Vergleichbares zu einem Abendessen in Italien, mit drei Generationen an einem Tisch, gibt. Ein quirliges, fröhliches, Chaos. Großartig. Ein Monat unterwegs jetzt und es ist ein nicht enden wollender Traum.

Genova. Der zweite Auftritt in Italien. Ich entscheide mich für die Landstraßen-Route und komme dabei durch Orte die ich bislang nur von Weinflaschen-Etiketten kenne. Asti, Alba, Gavi. Genova dann ein wüstes Durcheinander von Stadt aus Chic, Industrie, Hafen und verwinkelter Altstadt. Sympathisch trashig - fühle mich ausgesprochen wohl hier. Das vom Veranstalter gebuchte B&B ist klein, charmant, kitschig auf nette Art und war mal die Wohnung des Genoveser Cantautore/Legende Fabrizio de André. Dankbarerweise direkt neben dem Club, der Taverna Zaccaria. Eine super-nette Bar, die den Platz vor der Kirche nebenan als Freiluft-Gastraum nutzt. Zum wiederholten mal stelle ich fest das die Verköstigung hierzuland Top-Priority genießt. Da geht's wohl schon auch bisschen um die Ehre. Und es braucht Zeit. Italien, merke ich, ist grade auf dem besten Weg Katalonien kulinarisch den Rang abzulaufen. In meinem ganz persönlichen Ranking. Sensationell. Außer den Konzerten gibt's auf Tour ja nicht so allzu viel mit dem man sich beschäftigen kann. Das Essen nimmt da - zumindest bei mir - schon eine Schlüsselrolle ein. Noch vor dem Postkartenschreiben.



Nach der Show nehmen mich Simona, ihre Freundin und Bandkollegin deren Namen ich natürlich schon wieder vergessen habe und ihr Soundmann noch zwei Ecken weiter mit. In einem Wohnhaus mitten in der Città Vecchia stehen wir plötzlich in einem Wohnzimmer. Mit Bar. Mit Bühne. Mit Flügel, Drumkit und Amps. Ein schweine-gutes Jazz-Trio improvisiert. Man nötigt mich auch was zu spielen. Mag ich ja eher nicht so. Wird aber dann doch sehr schön. Mit den Jungs die eben noch gejamt haben und Simona am E-Bass spielen wir die vermutlich jazzigste Version von "Light Enough To Travel" die es jemals auf eine Bühne geschafft hat. Wunderschöne Stadt mit - jetzt - auch noch speziellen Erinnerungen.
Noch einen Tag totschlagen mit Sachen aufschreiben, etwas üben, vor allem essen, bis ich am Freitag nach Lyon fahre und dort meinen britischen Compadre Grae J. Wall treffen werde. Zusammen geht's dann nach der Lyon-Show südwärts nach Katalonien. Freu mich drauf. Vor allem nachdem ich mittlerweile gesund gefüttert wurde.

Die Alpen nebst Mont Blanc via Frejus-Tunnel unterlaufen. Da wo ich wieder an die Oberfläche komme schneebedeckte Berge in der Sonne, beeindruckendes Panorama mit Mautstation und Felswänden. Vermutlich waren die EUR 44.- Tunnelgebühr vor allem für diesen Ausblick gedacht. Wieder eine Fahrt durch eine Bilderbuchlandschaft, das Rhone Tal, in Richtung Lyon. Ausnahmsweise verlässt mich mein Navi diesmal nicht und ich finde das Kraspek Myzik auf Anhieb. Parkplätze zeigt sich, sind hier etwa so einfach zu finden wie in Trieste, Genova oder Wien, dafür ist diese Ecke von Lyon einer der schönsten Orte dieser Tour. Croix Rousse oder Les Pents heißt der Stadtteil glaub ich, ganz begriffen hab ich's aber wohl doch nicht. Egal. Hoch über der Stadt gelegen, verwinkelte Gassen, endlose Treppenfluchten, Hausdurchgänge - ein einziges Labyrinth. Bars, Cafés, kleine Läden, Tabac Shops. Wie dieses Eck der Gentrifizierung bisher entkommen konnte ist mir ein Rätsel.

Das Kraspek dann ist ein kleiner, super-sympathischer Club/Plattenladen/Kultureinrichtung, geführt von einem selbstverwalteten Kulturverein. Wir teilen uns den Abend mit June Bug aus Lille. Großartiges Duo. Stell Dir vor Jim Avignon/Neoangin mit einer Brise Folk und Sonic Youth. Als Krönung spielen sie als Zugabe die berührendste Version von Leonard Cohen's "The Partisan" die ich bisher zu hören bekommen habe. Gänsehautgarantie. Nicht zuletzt wegen des traumhaften male/female Harmoniegesang. Der Abend des 13. November lässt sich gut an. Gut besucht und sowohl June Bug, als auch Grae's lofi-country Set als auch der Anfang meines Auftritts kommen bestens an. Dann, mitten drin, kippt die Stimmung auf seltsame Weise. Plötzlich ist die Atmosphäre völlig verändert, fast jeder tippt wie verrückt auf seinem Smartphone rum. Auch noch als Grae und ich zusammen mit einigen gemeinsamen Songs den Abend abschließen. Was wir nicht wissen ist das zeitgleich in Paris Bomben vor dem Stade de France hochgehen und Konzertbesucher im Bataclan erschossen werden. Es ist fast wieder wie am 11. September 2001 als Grae und ich mit den Anglo German Low Stars auf Tour waren. Eine gespenstische, beängstigende Stimmung liegt in der Luft und wie damals dämmert mir das ich die Tragweite all dessen vermutlich erst in ein paar Tagen richtig begreifen werde. Party-Stimmung kommt nicht auf, allerdings sitzen unsere Gastgeberin Pauline und zwei Jungs vom Club mit uns noch bis in die Morgenstunden. Die Ereignisse in Paris lassen uns nicht los und werden es auch den Rest der Tour nicht tun. Erfreulich lediglich das zumindest keine Freunde und Verwandte der anwesenden Gäste zu Schaden gekommen sind.
Der folgende, strahlend sonnige Vormittag vergeht mit einem kleinen Spaziergang durchs Quartier, einigen Tassen Kaffee und einigen, absolut unvermeidlichen, natürlich exzellenten, Tartes. Wir laden den Wagen und machen uns auf den Weg nach Süden. Erste Etappe an diesem, spielfreien, Samstag. So weit wie möglich runter, übernachten und Sonntag dann der erste Auftritt in Katalonien, in La Bisbal d'Emporda. Etwas besorgt sind wir ob wir derzeit überhaupt über die Grenze kommen.

Für das Roadtracks Magazin geschrieben, findest Du bis Dezember 2015 in diesem Blog Nachrichten, Wasserstandsmeldungen, Befindlichkeitsnachweise und vermutlich auch den einen oder anderen Link aus der etwas unkalkulierbaren "On Tour"-Parallelwelt von Mäkkelä's Tour zu seinem am 4. September veröffentlichten Album "Last Of A Dying Breed". Alle kommenden Konzerttermine auf maekkelae.com.

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